Burgerbibliothek Bern: Der Berner Fotopionier Jean Moeglé

Cover
Titel
Der Berner Fotopionier Jean Moeglé. Berge, Hotels und Salons


Herausgeber
Burgerbibliothek Bern
Reihe
Passepartout 5
Erschienen
Bern 2012: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Aline Minder

An einem frühen Morgen im April 1939 radelte der Thuner Geschäftsmann Werner Krebser am Haus des kurz zuvor verstorbenen Fotografen Jean Moeglé vorbei und sah, wie Arbeiter gerade mit der Räumung des Archivs beschäftigt waren. Gerade rechtzeitig konnte Krebser einschreiten und die vollständige Vernichtung des Nachlasses verhindern. Ihm und seinem Sohn, Markus Krebser, ist zu verdanken, dass das fotografische Werk von Jean Moeglé (1853 – 1938) erhalten ist. Von ursprünglich 100 000 Glasnegativen konnte Krebser 40 000 Exemplare retten, da aber viele beschädigt waren, reduzierte sich der Moeglé-Nachlass schliesslich auf 4 000 Glasnegative. Jahrzehntelang beschäftigten Inventarisierung, Zuordnung und Recherche die beiden Fotografie-Begeisterten. In vier zwischen 1980 und 1996 erschienenen Fotobänden machte Markus Krebser die Fotografien der Öffentlichkeit zugänglich. Er war es auch, der die Burgerbibliothek Bern für die fachgerechte Konservierung der Sammlung Moeglé gewinnen konnte.

Erstmals rückt die Burgerbibliothek Bern mit dieser Publikation in ihrer Reihe Passepartout historische Fotografien in den Fokus. Alte Fotografien strahlen eine besondere Faszination aus und sind zugleich schwieriger zu entschlüsseln als schriftliche Archivalien, so die Direktorin der herausgebenden Institution im Vorwort. Es sind – vermeintlich objektive – historische Zeugnisse und zugleich haben sie eine künstlerische Anmutung. Der präsentierte Fotograf Jean Moeglé war ein präziser Dokumentarist und feinfühliger Gesellschaftsfotograf. Seine Tätigkeit war klar kommerziell orientiert, und obwohl er sein Handwerk meisterlich beherrschte, pflegte er keine freie (Kunst-)Fotografie im modernen Sinne. Allerdings war es ihm wichtig, zur technischen Weiterentwicklung dieses jungen Mediums beizutragen. So experimentierte er bereits 1901 mit der Herstellung von Farbnegativen, von denen zwei im Buch wiedergegeben sind. Von hoher Kunstfertigkeit zeugt sein Umgang mit Licht: Sowohl in Innenräumen als auch bei Aussenaufnahmen wusste er mit schwierigen Lichtverhältnissen umzugehen. Mal ist es die aussergewöhnliche Feinheit, Lebendigkeit oder Tiefe der Bilder, die fasziniert, mal ist es das Motiv – wie beispielsweise ein Jäger mit zwei «tanzenden» Gämsen. Dank der Sammlung Moeglé können wir uns ein Bild der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
und landschaftlichen Entwicklung von Thun im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts machen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Abschnitt widmet sich in fünf Kapiteln dem Kontext, in dem die Fotos entstanden sind. Informationen zu Leben und Werk von Jean Moeglé werden gefolgt von Hintergrundinformationen zum Nachlas, in dem die Sammler Krebser zu Wort kommen. Weitere Ausführungen behandeln die Entwicklung der Bildproduktion im Berner Oberland und Charakteristika der fotografischen Sammlung der Burgerbibliothek Bern. Schlaglichtartig beleuchtet das Kapitel zur Tourismusgeschichte Themen wie das Hotelwesen, die Eroberung des Hochgebirges, den aufkommenden Wintersport und Verkehrsmittel zwischen dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der dem blühenden Tourismus auf seinem Höhepunkt vorläufig jäh ein Ende setzte. Sie helfen dem heutigen Betrachter beim Lesen und Einordnen der historischen Aufnahmen und machen belebte und unbelebte Ansichten von Hotelräumen oder Fotos von Wintersportlern plastischer. Die Hauptrolle bestreitet der Bildteil: Abgedruckt sind rund 60 direkt ab Glasnegativ digitalisierte Fotografien. Die Wirkungsfelder und Motive von Jean Moeglé waren vielseitig: Tourismus, Hotelwesen, Menschen bei der Arbeit, Porträts von Privatpersonen, Familienfotos, Stadtansichten von Thun, Industrie, Schulklassen und Vereine, Bergsportler, Landschaftsaufnahmen etc. Die Fotografien sind grob thematisch gegliedert und nach ästhetischen Kriterien angeordnet. So bilden sie interessante Kontraste und treten aufgrund ihrer Bildkomposition oder des Motivs in einen spannungsreichen Dialog. Die Reproduktion vor mattgrauem Hintergrund hebt die Schwarzweissfotografien hervor, von denen zahlreiche vollständig mit Rand und zusätzlichen Informationen wie Negativnummer wiedergegeben sind. Im Sommer 2012 lockte die Moeglé-Ausstellung in eineinhalb Monaten 3 700 Personen ins Kornhausforum. Umso erfreulicher ist es, dass mit diesem sehr ansprechend gestalteten und sorgfältig recherchierten Buch eine eigentliche «Ausstellung zum Mitnehmen» erschienen ist, die sowohl historisch als auch Fotografie-Interessierte zu begeistern vermag.

Zitierweise:
Aline Minder: Rezension zu: Burgerbibliothek Bern (Hrsg.): Der Berner Fotopionier Jean Moeglé. Berge, Hotels und Salons (Passepartout 5). Bern: Stämpfli 2012. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 49-51.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 49-51.

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